Fragen an den Brandschutz
… oder welche Einflüsse Baustoffe auf unser Leben haben
Natürlich bin ich oft bei Abnahmen fertiggestellter Gebäude dabei, an denen wir – z. B. mit einem Brandschutzkonzept und brandschutztechnischer Bau- und Objektüberwachung – mitgeplant und anschließend die Baustelle überwacht haben. Das ist dann jener Augenblick, wenn alles neu ist, die Räume noch nach frischer Farbe riechen und letzte Handwerker noch schnell über die letzte Gerüstlage huschen. Schon jetzt macht sich ein deutlicher Unterschied zwischen Gebäuden mit und ohne diffusionsoffener Fassade bemerkbar. Letzteres fühlt sich meist schon jetzt an wie Wohnen oder Arbeiten in einer Plastiktüte.
Wesentlich seltener komme ich jedoch ein oder zwei Jahre später in eines dieser Gebäude mit diffusionsoffener Fassade; es gibt ja auch nicht so viele. Der Unterschied mag vielleicht nicht messbar sein, aber spürbar ist er: das Haus atmet, die Atmosphäre ist entspannt, ich fühle mich gesünder und geistig reger, ich stimme positiv mit meiner Umgebung überein, mein Körper produziert mehr Glückshormone als gewöhnlich. So stellt sich das Gefühl des Wohlbefindens deutlich schneller ein.
Warum ist dieses Wohlbefinden nicht allen Menschen gegönnt?
Nachhaltige, klimaneutrale und umweltfreundliche Baustoffe, wie Holz, Holzwerkstoffe oder Cellulosedämmungen, sind i. d. R. brennbar und unterliegen daher baurechtlich besonderen Einschränkungen. Trotz aller Umweltappelle und Klimaziele leben und arbeiten die meisten Menschen in Gebäuden aus Stahlbeton oder Mauerwerk. Diese sind durch Wärmedämmverbund- oder Glasfassaden luftdicht abgeschlossen. Dem Benutzer bleibt ohne künstliche Belüftung und Klimatisierung kaum Luft zum Atmen: ein Leben wie in einer Plastiktüte.
Eine Welt aus nichtbrennbaren (oder nichtbrennbar gemachten) Stoffen ist aber genauso wenig lebenswert, wie eine Welt, in der jeder alles über jeden weiß. Sie ist sicher sicher, aber absurd, ungemütlich, ungesund und langweilig.
Natürlich bauen verboten!
Die Einschränkungen bei der Verwendung natürlicher organischer und damit brennbarer Baustoffe kommen insbesondere bei ausgedehnten, mehrgeschossigen Gebäuden oder bei Sonderbauten nahezu einem Verbot gleich:
- Bauteile aus brennbaren Baustoffen dürfen nicht für tragende (Stützen, Wände oder Decken) oder raumabschließende Bauteile (Trennwände, teilweise Außenwände) verwendet oder müssen zur Verwendung aufwändig gekapselt werden.
- Bauteile mit brennbaren Baustoffen (z. B. Fassaden oder Dächer aus Holzkonstruktionen) dürfen nicht über Brandwände hinweggeführt werden. Das gilt auch für bauphysikalisch wirksame diffusionsoffene Außenwandkonstruktionen wie Doppelfassaden oder hinterlüftete Außenwandbekleidungen.
- Bauteile aus brennbaren Baustoffen müssen in Rettungswegen nichtbrennbar verkleidet werden.
Diese Bestimmungen mögen im Einzelfall sinnvoll sein, z. B. um eine Brandausbreitung von Brandabschnitt zu Brandabschnitt über das Dach oder die Fassade nicht zu begünstigen. Die generellen Einschränkungen und Verbote dürfen aber nicht dazu führen, dass über alternative Möglichkeiten, Schutzziele zu erfüllen, nicht mehr nachgedacht werden darf.
Im Einzelfall sollte es dem Geschick und der Kompetenz von Architekt und Brandschutzfachplaner überlassen sein, welche besonderen Vorkehrungen getroffen werden, um auch bei Dächern und Fassaden aus natürlichen nachwachsenden Bau- und Dämmstoffen das von der Bauordnung geforderte Sicherheitsniveau zu erreichen.
Aus diesen Gründen ist es uns ein besonderes Anliegen, mit unserem Wissen, unserer Erfahrung und unseren Kompetenzen in Brandschutznachweisen, bei der brandschutztechnischen Ausführungsplanung und bei der brandschutztechnischen Bau- und Objektüberwachung auch den Einsatz natürlicher und nachwachsender Bau- und Dämmstoffe zuzulassen und zu fördern. Dies geht natürlich einher mit hoher Verantwortlichkeit für einen sicheren Brandschutz.
Zum Wohlbefinden der Benutzer und Bewohner von Gebäuden gehört auch ein hohes Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit der Brandschutzmaßnahmen. Sie dürfen in keinem Fall unter dem Siegel falsch verstandener Umweltduselei kompromittiert werden.
Veröffentlicht am 5. Oktober 2015.