Fragen an den Brandschutz

Der gesunde Menschenverstand und die vielen Fragen

Vor einiger Zeit wurde ich von der BauNetzWOCHE gefragt, ob Architekten Angst vor Brandschutz haben? Meine Antwort war:

Die Angst des Architekten vor dem Brandschutz liegt daran, dass er die Argumentation und die Hintergründe der baurechtlichen Regelungen normalerweise nicht kennt.

Er vermutet in den Gesetzen Hunderte von gemeinen Fallen. Brandschutz muss so sein, dass er auch von Architekten verstanden wird und nicht nur von Experten. Architekten müssen sich ihre Brandschutz-Partner nach dem Kriterium aussuchen: Verstehe ich ihn, nimmt er meine Bedenken und meine Angst ernst und findet er Lösungen, die mich davon befreien? Wer Angst hat, kann nicht kreativ sein.

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Angst und Architektur: Einfamilienhaus „Safe House“ des Architekten Robert Konieczny (Foto: Aleksander Rutkowski)

Brandschutzphobie?

Ich hatte da nicht geahnt, wie tief plötzlich diese Angst in die Köpfe der Architekten geschossen ist, so wie der Saft im Frühjahr in die Bäume.

Wenn’s dann weh tut, werde ich zu Hilfe gerufen. Deshalb befand ich mich neulich plötzlich neben Architektenkollegen und -kolleginnen auf der Baustelle einer Kindertagesstätte und wir grübelten über Brandschutzdetails.

Irgendetwas stimmte nicht. Wir standen auf einer Holzbalkendecke, die einmal die Anforderung feuerhemmend erfüllen sollte. In unserer Phantasie ergoss sich auf die Decke bereits der vorgesehene schwimmende Estrich und wenn wir das Endprodukt mit der DIN 4102-4 [1] verglichen, war eigentlich alles in Butter.

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Ohne Estrich - Abkofferung für die Sanitärleitungen (Foto: Reinhard Eberl-Pacan)

Wie haben wir das früher gemacht? Seit 25 Jahren arbeite ich als Architekt und nie hatte ich einen Estrich hinter Abkofferungen oder Abseiten gießen lassen. War das falsch? Sah ich die Brandschutz-Mängel nicht oder wollte sie nicht sehen und hatte deshalb keine Angst?

Sicher hatte ich das eine oder andere Mal Bammel vor der Abnahme eines Gebäudes durch die Bauaufsicht, aber Angst vor dem Brandschutz? Die Bauordnung war mir zwar nicht in jedem Augenblick vollständig geläufig und der Brandschutz kam dabei vermutlich manchmal etwas zu kurz, aber ich machte doch alles so, wie meine älteren Kollegen es mir vormachten. Da musste ich das Thema weitgehend im Griff haben; einschließlich kleiner Unzulänglichkeiten und Mängel. Hatte ich mich getäuscht?

Angekommen im Büro führte ich mir nochmal die DIN 4102-4 zu Gemüte und was fand ich da auf Seite 83 unter Punkt 5.2.5?

„Auf den Einbau [schwimmender Estriche] kann verzichtet werden, wenn die obere Beplankung oder Schalung … b) keine Verkehrslasten … zu tragen hat – z. B. in Abseiten oder als Abschluss zum Spitzboden.“

Der Estrich

Doch ein etwas zu weiter Blick nach rechts zeigte das Problem. Der Estrich konnte ja nur bis zu der bereits angezeichneten Abkofferung für die Sanitärleitungen reichen. Und dahinter? Dort war ein Estrich schon deshalb nicht möglich, weil die Leitungen sehr knapp über dem Holzboden verlegt waren.

Bingo! Wir Architekten haben einen gesunden Menschenverstand (GMV). Wir haben ihn immer benutzt und sind in 90% der Fälle gut damit gefahren. Das Lesen von Regeln soll nämlich nicht dazu dienen, sie auswendig zu lernen, sondern sie zu verstehen und den eigenen Expertenverstand daran zu üben, auszuprobieren, zu korrigieren und auszubilden.

Viele Fragen

Heute äußert sich die Angst der Architekten vor dem Brandschutz in vielen Fragen. In Fragen, die ich mich nicht traue, dumm zu nennen, denn es gibt keine dummen Fragen.

Aber es gibt so fruchtlose Fragen. Fragen, deren Antworten keine neuen Erkenntnisse transportieren. Fragen, die sich auch ohne spezielles Expertenwissen im Brandschutz mit GMV einfach beantworten lassen.

Liebe Architekten, bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe eure Fragen, alle!

Aber, liebe Architekten, bevor ihr fragt, dürft ihr gerne euren eigenen GMV benutzen. Denn nur wenn in euren grauen Zellen der Same des Denkens keimt, wenn der feste Wille nach einer optimalen Lösung dort angelegt ist, nur dann fällt die Antwort auf eure Frage auf fruchtbaren Boden. Dann wächst ein kräftiger und stabiler Denkprozess, der zu außergewöhnlichen Lösungen führt.

Manche Frage erledigt sich nach Anwendung des GMV erstens von selbst.

Wenn nicht, fragt zweitens uns, damit wir, drittens, eine Antwort auf die wirklichen Herausforderungen geben können. Aber bitte, akzeptiert dann auch unsere Antworten. Die werden, weil wir Experte sind, oft weit über den GMV hinausgehen und manchmal schwer verständlich sein. Lasst diese Antworten ruhig in euer Gehirn sacken. Dort trainieren sie dann euren GMV in Sachen Brandschutz.

Keine Angst, bald werden wir uns gut verstehen.

[1] DIN 4102-4:1994-03: Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile

Veröffentlicht am 2. April 2015.