Eine heftige Brandschutz Diskussion

Das Prinzip Brandschutz + (Teil3) „Am Ende der Welt“

Es ist Freitag später Nachmittag gegen halb sieben, alle meine Mitarbeiter sind längst ins Wochenende entschwunden, nur ich sitze noch an den aktuellsten Neuigkeiten für unseren Brandschutz-Newsletter, da klingelt das Telefon. ‚Sicher ein Architekt‘, denke ich etwas genervt und zugleich belustigt; und tatsächlich: es ist Boris.

„Hast Du Sonntagvormittag Zeit, dir mit mir die Baustelle in der ***straße anzusehen?“, platzt er los, gar nicht schüchtern oder verlegen. „Da kannst du mal beweisen, was du beim Brandschutz so drauf hast!“

„Weißt du eigentlich wie spät es ist? Machst du denn niemals Feierabend?“ frage ich, „Freitagabend und du kommst mir mit einem Termin für Sonntag? Du glaubst wohl, ich schwänze am Feiertag den Gottesdienst und trinke mein Manna [1] auf der Baustelle?“ werfe ich ein. „Außerdem, ist das nicht DIE Baustelle? Da lassen sie doch einen ehemaligen Hausbesetzer wie mich nicht auf 100 Meter heran!“

„Immer mit der Ruhe“, meint er, „das regle ich schon, ich hab da einen Wachmann, der ist mir noch was schuldig und außerdem haben wir einen Extra-Topf für solche Fälle! Wir treffen uns Sonntag um 10 am Baustelleneingang gegenüber der xxx-straße, bringe bitte deinen Bauhelm und deine Baustellenschuhe mit, ein schickes Schutzhemdchen kann ich dir besorgen.“

Großbaustelle Hauptbahnhof Berlin (Foto: Roman)

Das Prinzip Brandschutz + (Teil3) – Morgens 10 Uhr in Deutschland

Gestiefelt und behelmt stehe ich also Sonntag 10 Uhr pünktlich vor dem verstaubten Eingangstor mit Zugangskontrolle und warte auf meinen Einsatz. Die Baustelle scheint ruhig und verlassen zu sein, ebenso wie die Straße. Hierhin verirrt sich derzeit wohl kaum einer an einem Sonntagvormittag.

Zwischen den staubigen Rohbauten wedeln grüne Kunststoffgewächse, vermutlich sollen sie Palmen darstellen, das Rundherum sieht wirklich gespenstischer aus als eine Wüste.

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Styropor bei ca. 200 fach mit Polfilter. Ausschnitt ca: 500µm x 500µm (Foto: Jan Homann)

„Lass uns reingehen!“ weckt mich Boris aus meinen Träumen und drückt mir ein riesiges Plastikschild an die Brust, das mir Einlass in die Trutzburg gewähren soll. Ich bin gerührt. Unser Weg führt uns vorbei an einer Baubude mit Wachmann, der betont in die andere Ecke kuckt, als ich meine Plastikkarte durch den Scanner ziehe.

Hier sind wir! Wir stolpern fast über einen Riesenhaufen Styropor, das anscheinend für die Fassade gedacht ist. „Verpackungsmaterial“, meint Boris und zuckt mit den Schultern als er meinen fragenden Blick sieht.

Die Baustelle lässt auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches erkennen. Neunzig Prozent der Arbeit sind gemäß Plan in den ersten neunzig Prozent der Zeit abgearbeitet. Die restlichen zehn Prozent der Arbeit dauern – sicher nicht plangemäß – noch die anderen neunzig Prozent der Zeit.

Boris scheint damit zufrieden zu sein und ich will ihn ja auch an diesem schönen Sonntag nicht unnötig frustrieren.

Natürlich beginnen wir unseren Rundgang im Keller und natürlich ist es überhaupt nicht mein Ding, an einem sonnigen Sonntagmorgen unausgeschlafen durch Pfützen und Lachen zementhaltigen Wassers zu schlurfen und mir einen Haufen von Löchern anzusehen, die irgendwie richtig aussehen, obwohl den Brandschutzexperten in mir langsam ein komisches Gefühl beschleicht.

„Habt ihr euch überlegt, wie ihr diesen Durchbruch in der Decke zulassungskonform geschlossen kriegt?“, frage ich Boris und deute auf ein Bündel von Kabeln, das sich zusammen mit verschiedenen Rohren für allerlei Medien durch eine unauffällige Lücke schlängelt. „Natürlich!“ sagt Boris, „das ist alles geplant!“ Er deutete auf einen halbvollen Sack mit der Aufschrift Brandschutzmörtel, ein tautologisches [2] Produkt, vermutlich viel zu teuer eingekauft, schließlich ist jeder Mörtel ein Brandschutzmörtel!

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Großbaustelle Berlin (Foto: Marco2811 auf Fotolia)

Ich sage nichts mehr, ich will ihn ja auch an diesem schönen Sonntag nicht unnötig frustrieren.

Mein ungutes Gefühl wird nicht besser, als wir über die Treppe nach oben steigen. Kabel hier, Löcher da, ein wenig Brandschutztechnik wird auch schon sichtbar, das Ganze wirkt nicht wie ein perfekter Plan.

In die Treppenhauswand hat jemand mit einer Betonsäge eine Öffnung geschnitten, hier fehlte wohl eine Tür in die dahinterliegenden Räume, kann ja mal passieren. Unmittelbar über der Tür ragen allerdings zwei Brandschutzklappen aus der Wand, die offenbar für eine Lüftungsleitung gedacht sind, deren weiterer Weg sich allerdings auch nicht wirklich nachvollziehen lässt. „Wie sieht denn dieser Sturz über der Tür aus?“, will ich von Boris wissen. „Was meinst du denn?“ fragt er mich zurück und ich versuche ihm zu erklären, dass zwischen den beiden Öffnungen maximal fünf Zentimeter Abstand sein können.

„Das ist doch alles freigegeben!“ ist sich Boris sicher. „Hast du die Zulassungen dazu gesehen?“ nerve ich weiter. „Was glaubst du denn?“ schüttelt er meine Bedenken ab. „Aber das DIBt …“ mir bleibt die Spucke weg, angesichts so viel optimistischer Zuversicht, ich will ihn ja auch an diesem schönen Sonntag nicht unnötig frustrieren.

In den Obergeschossen kommt Boris ins Schwärmen. Er erläutert mir begeistert die eingesetzten Sprinklersysteme, die perfekte Brandmeldeanlage, komplizierteste Einrichtungen zur Brandunterdrückung, die die Wahrscheinlichkeit von Feuerwehreinsätzen reduzieren sollen und die batteriegespeisten elektromagnetischen Schließsysteme, die dafür sorgen sollen, dass die Feuerwehr sich im Brandfall nicht ohne geheimdienstliche Aufsicht durch das Gebäude bewegen kann.

„Gibt es für diese Systeme eine Brandfallsteuermatrix, entfährt es mir unwillkürlich, obwohl ich die Antwort bereits kenne. „Natürlich“, sagt Boris prompt, „das ist alles ausgearbeitet!“ Ich vermute insgeheim, dass es sich dabei um eine Datei exotischen Formats mit dem Namen ‚Brandfallsteuermatrix‘ handelt, die auf Knopfdruck von der genialen Software einer Spezialanlage ohne Anbindung ans komplexe Gesamtsystem erstellt wurde; von niemandem je geöffnet, geschweige denn ernsthaft bearbeitet oder gar geprüft; aber ich will Boris ja auch an diesem schönen Sonntag nicht unnötig frustrieren.

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Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes Foto: Jean-Pierre Dalbéra
Das Prinzip Brandschutz Plus, Teil 2, eine heftige Brandschutzdiskussion in mehreren Teilen.
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Liberty Ale im "Café am Ende der Welt" (Foto: Anchor Brewing Company San Francisco)

Wir spülen den Baustellenstaub anschließend noch im Café am Ende der Welt*** mit einem kühlen „Manna“-Bierchen in Form von Liberty Ale durch die Kehle. Boris ist bester Laune. Brandschutz auf seiner Baustelle: alles super! „Der Motor, der läuft doch!“ meint er triumphierend.

Ich nippe an meinem Bier und sage nichts, ich will ihn ja auch an diesem schönen Sonntag nicht unnötig frustrieren.

(Die von Boris und mir besuchte Baustelle ist natürlich frei erfunden und Ähnlichkeiten zu bekannten Berliner Großbaustellen sind rein zufällig, allerdings kaum zu vermeiden.)


Fußnoten:

[1] Ein Münchner im Himmel

Nach Ludwig Thoma (1867-1921)

Ein Münchner im Himmel ist eine humoristische Satire des bayerischen Schriftstellers Ludwig Thoma, die 1911 veröffentlicht wurde. In ihr behandelt Thoma mit einem liebevollen Augenzwinkern das Klischee des typisch bayerischen, insbesondere das des Münchner Grantlers. (Wikipedia)

Alois Hingerl, Dienstmann Nr. 172 am Münchner Hauptbahnhof , erledigte einen Auftrag mit solcher Hast, daß er vom Schlag getroffen zu Boden sank und starb. Zwei Engerln schleppten ihn mit vieler Mühe in den Himmel, wo er vom Heiligen Petrus empfangen wurde. Petrus eröffnete ihm zunächst, daß er von nun an auf den Namen “Engel Aloisius” zu hören habe, überreichte ihm eine Harfe und machte ihn mit der himmlischen Hausordnung bekannt: “Von morgens 8 Uhr bis mittags 12 Uhr: frohlocken; von mittags 12 Uhr bis abends 8 Uhr: Hosianna singen.”
“Wos is?”
“Von morgens 8 Uhr bis abends 12 Uhr frohlocken, von mittags 12 Uhr bis 8 Uhr abends Hosianna singen!”
“So – hmhm – ja, wann krieg na i wos z’tringe?”
“Sie werden Ihr Manna schon bekommen”, sagte Petrus leicht indigniert und ließ ihn stehen.
“Auweh! Des werd schee fad. Mei Lieber, da moan i oiwei, bin i neitred’n! Frohlocken?! A-a-a-a – eam schaug o: frohlock’n müeßed i da hero’m … i hab gmoant, i kumm in Himmi…”

[2] Tautologie (Wikipedia))

Der Ausdruck Tautologie (von altgriechisch ταὐτό = τὸ αὐτό to autó ‚dasselbe‘ sowie λόγος lógos ‚Sprechen, Rede‘) bezeichnet in der Stilistik und Rhetorik eine rhetorische Figur, bei der mit einer inhaltlichen Wiederholung (semantischen Redundanz) gearbeitet wird. Ein Gegenbegriff zu Tautologie ist das Oxymoron. Bewusste Tautologien werden in sogenannten „Zwillingsformeln“ geprägt.

Ein verwandter Begriff ist Pleonasmus. Die Ausdrücke „Tautologie“ und „Pleonasmus“ werden teils synonym, teils in unterschiedlicher Bedeutung verwendet.

Anmerkung: Ein anderes tautologisches Produkt wäre z. B. Nasswasser (Wasser ist immer nass).

Mehr Infos:

Veröffentlicht am 15. März 2014.