Entwicklung der Brandschutzanforderungen an Fassadenbegrünungen – eine Zwischenbilanz
Von Reinhard Eberl-Pacan
Ein Großteil der Oberflächen in Städten ist versiegelt. Verkehrsflächen für den fahrenden und ruhenden Verkehr mit Asphalt- oder Betondecken machen dabei etwa die Hälfte der versiegelten Flächen aus. Im Gegensatz zu Versiegelungen reagieren bepflanzte Flächen aktiv auf die vorherrschende Witterung. Pflanzen nehmen CO2 auf und geben Sauerstoff ab; Wasser wird verdunstet, das kühlt die Umgebung und erhöht die Luftfeuchtigkeit. Begrünungen von Gebäudefassaden müssen deshalb forciert werden (s. Abbildung 1). Brandschutzempfehlungen verschiedener Verbände und Behörden wirken dem konträr entgegen.
Grün bedeutet Leben. Begrünte Flächen bieten vielen, teilweise stark gefährdeten Insekten- und Spinnenarten Lebensraum. Diese und heranreifende Früchte sind wiederum wichtige Nahrungsquellen für Vogelarten und Kleinsäuger wie Nagetiere oder Fledermäuse. Damit wirken Begrünungen in dicht verbauten Städten oder Stadtteilen, die einen geringem Grünanteil aufweisen, dem dramatischen Habitatverlust für Tier- und Pflanzenarten entgegen. Sie hemmen so den Abbau der Biodiversität, die Überhitzung des Mikroklimas und die Bildung lokaler Wärmeinseln („Urban Heat Island“); mit vielen positiven Folgen für Wohlbefinden und Gesundheit der Menschen.
Die Begrünung möglichst vieler Gebäude ist im Sinne der Länder, Städte und Kommunen, die solche Maßnahmen in Bauordnungen, örtlichen Bauvorschriften, Festlegung zu Bebauungsplänen usw. zunehmend fordern. Auch Bauwillige und Eigentümer/innen sind bereit, ihre Gebäude zu begrünen, trägt diese Maßnahme doch zur Attraktivität und Wertsteigerung der Gebäude sowie zu einer erhöhten Lebensqualität und Zufriedenheit der Bewohner/innen bei.
Papiere mit Hinweisen oder Empfehlungen, die seit 2018 von Behörden1 und Feuerwehrverbänden2 veröffentlicht wurden, sind mit diesen Zielen kaum vereinbar. Die darin aufgezeigten „Brandschutzanforderungen“ an Fassadenbegrünungen basieren meistens auf schmalen oder auf überholten wissenschaftlichen Grundlagen. Trotzdem werden die „Empfehlungen“ von Baubehörden oder Feuerwehren oft als vermeintliche „Vorschriften“ betrachtet. Daher ist es notwendig, die darin enthaltenen Brandschutzanforderungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Papiere waren – wie z.T. dort selbst angemerkt wird – die Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Brandversuchen eher gering. Brandereignisse bei anderen (brennbaren) Fassadenkonstruktionen, insbesondere Fassaden mit Wärmedämmverbundsystemen (WDVS), waren dagegen erforscht und in ihrem Schadensausmaß bekannt. Der Einfachheit halber wurden deshalb u.a. Brandschutzanforderungen aus Ausführungsvorschriften zu diesen Systemen, z.B. dem „Technische Systeminfo 6“ des Fachverbands Wärmedämm-Verbundsysteme“ (WDVS)3, übernommen (s. Abbildung 2). Es ist allerdings unstrittig, dass sich das Brandverhalten von Begrünungen und WDVS-Fassaden deutlich unterscheidet.
Andere Inhalte gehen u.a. auf Brandversuche zurück, die zwischen 2015 und 2018 auf Veranlassung des Magistrats der Stadt Wien im Zusammenhang mit dem Projekt „Forcierung Fassadenbegrünungen“ durchgeführt und 2020 durch die Wiener Wohnbauforschung4 verifiziert und angepasst wurden. Wesentliche Erkenntnisse aus diesen Versuchen (siehe Kasten) werden in den Papieren jedoch nicht berücksichtigt; teilweise wurden sie ignoriert, teilweise waren sie noch nicht bekannt.
Die in Wien durchgeführten Brandversuche zeigen aktuell, dass auch in Deutschland die Schutzziele des §14 Musterbauordnung (MBO)5:
„Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind“,
bei Fassadenbegrünungen durch objektbezogene und niederschwellige Brandschutzmaßnahmen erreicht werden können. Diese Maßnahmen sind in ganzheitlichen und individuellen Brandschutzkonzepten (BSK) bzw. Brandschutznachweisen (BSN) festzulegen, die für Gebäude der Gebäudeklassen (GK) 4 und 5, bzw. für Sonderbauten grundsätzlich erforderlich sind und bauaufsichtlich geprüft werden.
Pauschale „Brandschutzempfehlungen“, wie sie in den o.g. Papieren enthalten sind, sollen ausschließlich der Information und Orientierung für die Erstellung dieser Konzepte oder Nachweise dienen. Mangels anderer baurechtlicher Regelungen zu diesem Thema werden sie jedoch von Bauaufsichtsbehörden, Prüfingenieur/innen oder Feuerwehrdienststellen bei der Prüfung von oder bei Stellungnahmen zu BSK oder BSN als „Vorschriften“ hergezogen.
Im Ergebnis führt das dazu, dass wichtige Begrünungsmaßnahmen an Gebäuden – ohne weitere sachliche Begründung – wegen „Bedenken“ zum Brandschutz abgelehnt werden. Da ein rechtlicher Widerspruch gegen ablehnende Prüfberichte bzw. Stellungnahmen nicht möglich ist, bleibt dem Bauwilligen nichts anderes übrig, als auf die Begrünung teilweise oder komplett zu verzichten, um die Genehmigung seines Vorhabens nicht zu gefährden.
Im Sinne der Gesundheitsvorsorge wird die Begrünung baulicher Anlagen in Bauordnungen – z.B. Landesbauordnung (LBO) Baden-Württemberg6 §9 Abs. 1 – in örtlichen Bauvorschriften, Ortssatzungen, Festlegung zu Bebauungsplänen usw. zunehmend gefordert. Deshalb handelt es sich bei der Nutzung der Gebäudeoberflächen zur Bepflanzung um einen „bestimmungsgemäßen“ Gebrauch des Eigentums, der grundrechtlich durch Art. 14 (1) Grundgesetz (GG)7 gesichert ist. Wenn dem keine anderen Gesetze oder wesentliche Gründe entgegenstehen, darf dieses Grundrecht weder durch eine „Empfehlung“ einer Behörde oder eines Verbandes noch durch eine Festlegung in einer Baugenehmigung ausgehebelt werden.
Zu Recht wird in den Publikationen, die sich mit dem Brandschutz für Fassadenbegrünungen beschäftigen, darauf hingewiesen, dass bei diesen Maßnahmen die Sicherheit im Brandfall stark von der Pflege der Pflanzen abhängt. Eine dauerhaft wirksame Pflege der Pflanzen sowie der Rückschnitt vertrockneter oder Rettungswege behindernder Vegetationsflächen muss deshalb objektbezogen bei der Planung und Ausführung der Begrünungen mit berücksichtig werden.
Die Verpflichtung des Gebäudeeigentümers zur dauerhaften Pflege einer Begrünung geht – wie die Verpflichtung zur Instandhaltung für das Gesamtgebäude – aus den Anforderungen des §3 MBO hervor:
„Anlagen sind so […] instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden.“
Ebenso wie für andere Teile baulicher Anlagen (z.B. Treppen oder Umwehrungen) kann daraus der öffentlich-rechtliche Anspruch hergeleitet werden, dass eine dauerhafte Pflege der Begrünung durch den Verfügungsberechtigten sicherzustellen ist, d.h. die Pflanzen müssen vital sein und so zurückgeschnitten werden, dass eine Einschränkung der Öffnungen für Rettungswege oder Entrauchungen ausgeschlossen ist.
Der Ruf nach zusätzlichen Verpflichtungen, Maßnahmen, Unterlagen (z.B. einer „Fassadengrün-Pflegeordnung“) usw. zeugt von Misstrauen gegenüber Gebäudeeigentümern und deren Beauftragte. Hier ist mehr Vertrauen in einen funktionierenden Rechtsstaat angebracht, der von seinen Bürgern als solcher respektiert wird. Das Baurecht ist kein Polizeirecht (mehr), welches das Fehlverhalten einiger weniger durch zusätzliche Anforderungen an alle sanktioniert.
Fazit
Fassadenbegrünungen leisten – besonders in thermisch, lärm- und lufthygienisch belasteten und hochversiegelten städtischen Bereichen – einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge der Bewohner. Bei weiter zunehmender Bodenversiegelung und der Nutzung der Dächer für die Energiegewinnung stellen sie eine wichtige Möglichkeit dar, die Artenvielfalt – insbesondere von Insekten und der auf diese als Beute angewiesenen Vögel – zu erhalten und für ein erträgliches Mikroklima auch in Hitzephasen zu sorgen. Durch ihren geringen Bodenverbrauch konkurrieren sie nicht mit anderen Nutzungsinteressen. Auf diese Natur- und Artenschutzziele wird zunehmend mit Gesetzen und Vorschriften positiv eingewirkt, z.B. dadurch, dass die Versiegelung von Bodenflächen auszugleichen ist durch eine Begrünung der zu errichtenden baulichen Anlagen.
Brandschutzanforderungen dürfen hier nicht im Wege stehen, solange die Gefährdung der Schutzziele des §14 MBO durch solche Begrünungen nicht nachgewiesen werden kann. Spekulative Erwägungen („Pflanzen bzw. Teile davon grundsätzlich brennbar und können zu einer raschen Brandausbreitung über mehrere Geschosse hinweg beitragen), negative Erfahrungen mit Brandereignissen bei anderen Arten von Fassadenoberflächen (WDSV) oder „Mythen des Brandschutzes“ („Außentreppen, die als [2.] Rettungsweg dienen. sind von einer Fassadenbegrünung freizuhalten, um eine ausreichend lange Nutzung des Rettungsweges im Brandfall sicherzustellen„) reichen für einen entsprechenden Gefährdungsnachweis bei weitem nicht aus.
Wünschenswert ist eine differenziertet Betrachtung, die einerseits garantiert, dass die Schutzziele der Bauordnung auch bei Verwendung von Begrünungssystemen aufrechterhalten wird, andererseits, dass diese Systeme auch vorurteilsfrei forciert werden können. Sie stellen Maßnahmen dar, die zu einem attraktiven Lebensumfeld für Menschen und Tiere beitragen und die Lebensqualität in unseren Städten auch zukünftig erhalten können.
Erkenntnisse aus den Brandversuchen des Wiener Magistrats
- Vitale Blätter von Kletterpflanzen stellen keine Brandlast dar, der Wassergehalt der Pflanzenteile ist selbst im Winter sehr hoch.
- Eine Entzündung verholzter Triebe oder Blätter der Begrünung ist nur bei extremen Brandereignissen (Temperaturen ab ca. 500°C) zu erwarten.
- Verholzte Triebe sind brandschutztechnisch unproblematisch (keine Harzbildung).
- Ätherische Öle (z.B. bei Efeu, immergrünem Geißblatt) können eine vertikale Brandweiterleitung befördern, andererseits wird sie jedoch durch die Verdunstung des gebundenen Wassers, die dem Brand Energie (Hitze) entzieht, behindert.
- Brände von Begrünungen breiten sich weder horizontal aus noch entstehen Gefahren durch herabfallende, brennende Teile von Bepflanzungen.
- Bei hinterlüfteten, wandgebundenen Systemen müssen durch besondere Maßnahmen Aspekte wie der Kamineffekt behindert werden (siehe MBO §28 Abs. 4).
KERNAUSSAGE
Fassadenbegrünungen leisten besonders in thermisch, lärm- und lufthygienisch belasteten und hochversiegelten städtischen Bereichen einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge der Bewohner.
Brandschutzanforderungen dürfen hier nicht im Wege stehen, solange die Gefährdung der Schutzziele der Bauordnungen nicht nachgewiesen ist.
Deshalb und aufgrund neuer Erkenntnisse aus Brandversuchen ist es notwendig, die Brandschutzanforderungen für Begrünungen erneut einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Weiterführende Literatur:
- Freie und Hansestadt Hamburg; Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen; Amt für Bauordnung und Hochbau: F A Q 1: Bauordnungsrechtliche Anforderungen an Fassadenbegrünungen; Fassung vom 22.04.2022
- Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren und des Deutschen Feuerwehrverbandes Brandschutz großflächig begrünter Fassaden
- Magistrat der Stadt Wien Kompetenzstelle Brandschutz (KSB): Fassadenbegrünung brandschutztechnische Anforderungen; Wien, 17. Jun. 2021
- TU Darmstadt Fachbereich Architektur Fachgebiet Entwerfen und Freiraumplanung: Gutachten über quartiersorientierte Unterstützungsansätze von Fassadenbegrünungen für das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKUNLV) NRW; Darmstadt, Juni 2016
- Engel, T.; Noder, J. (2020) Begrünte Fassaden aus brandschutztechnischer Sicht. Bautechnik 97, H. 8, S. 549–557.
- DANZINGER, Kurt; POMPER, Stephan; WERNER, Dieter. Fachbeitrag – Brandverhalten bei Fassadenbegrünungen. Neue Erkenntnisse zum Brandverhalten von Fassadenbegrünungen. Der österreichische Brandschutzkatalog 2019, S. 42–46
Veröffentlicht am 6. Februar 2023.