Eine heftige Brandschutz Diskussion

Teil 5 „Bau-Löwe“

Jetzt bin ich ganz oben! Mein Blick gleitet hinweg über Berlins größte Baustellen, rechts das Stadtschloss, links die U-Bahn, die Staatsoper, der BND Neubau in der Chausseestraße, die Hochhäuser rund um den Hauptbahnhof.

Nicht alle Projekte sind Erfolgsmodelle. Besonders die Projekte in öffentlicher Hand leiden unter Kostenexplosionen, Terminverzögerungen, Pfusch am Bau. Einigen privaten Bauherrn geht es nicht viel besser.

Es gibt Ausnahmen. Eine davon hat Boris und mich zum Gespräch hierher eingeladen. JFK – so nennen ihn seine Freunde, Konkurrenten und Neider – hat in drei Jahrzehnten erfolgreich Immobilien in verschiedenen Bereichen − Wohnen, Senioren, Büro- und Verwaltung, Handel und Logistik – entwickelt, in all den Höhen und Tiefen des Berliner Immobilienmarktes.

Hoch über Berlins größten Baustellen (Foto: Lea Pacan)

Ich warte. Boris verspätet sich. Ich blicke mich um im Besprechungsraum des 25. Obergeschosses. Auf einem Sockel aus Messing steht das Modell einer Yacht. An den Wänden Bilder von Baselitz [1], vermutlich falsch herum aufgehängt, Stahlrohrmöbel, ein riesiger Schreib- und ein langer Konferenztisch mit Kaffee und Keksen darauf. Ich bin beeindruckt.

Boris kommt herein. Er wirkt abgehetzt und unausgeschlafen. Er schaut sich unsicher um im Raum. Ein kurzes Nicken zur Begrüßung, ansonsten vermeidet er auffällig jeden Blickkontakt.

Wir warten. Ich träume von kubistischer Architektur in Prag. Auf meiner letzten Reise hatte ich eine kleine Fotoserie darüber gemacht und tatsächlich in Berlin-Johannisthal auf der Fahrt zu einer Baustelle kubistische Häuser [2] gefunden.

Endlich geht die Tür auf. JFK betritt den Raum, lockere Haltung, lässig angezogen. In der Modebranche hat er viel Geld verdient, raunt die Gerüchteküche. Dann packte ihn der Bau-Virus. Sein Immobilienvermögen scheint unermesslich. Ständig entstehen neue Bauten durch seine Initiative und Investition, ein Bau-Löwe.

Boris ist sein Lieblings-Architekt, sie begrüßen sich freundlich, reden sich mit den Vornamen an, sind aber nicht per du: „Hallo Jürgen.“ „Hallo Boris, guten Tag Herr Igier, äh …“ „Eberl-Pacan“ korrigiere ich ihn und reiche ihm meine Visitenkarte. „… ähm, bitte setzen Sie sich!“

Wir setzen uns an die langen Konferenztisch, JFK am Kopfende, Boris und ich sitzen uns gegenüber.

„Was ist denn da los auf der Baustelle?“, JFK sieht Boris scharf an: „Dauernd das Gerede über Brandschutz. Das haben Sie doch im Griff, oder?“ Boris wirkt etwas geknickt. Ich sage nichts.

JFK öffnet bedächtig die Kladde [3] vor ihm auf dem Tisch und schraubt die Kappe seines Füllfederhalters ab. Sein Blick fällt auf meine Visitenkarte, dann auf mich.

„Herr Patschan …“ fährt er fort – „Eberl-Pacan“ werfe ich ein – „… verstehe ich das richtig: Sie sind Brandschutz-Experte? Und Boris möchte, dass Sie ihn beim Brandschutz auf der Baustelle unterstützen. Und dafür brauchen Sie jetzt von mir einen Auftrag? Das ist mir zu hoch!“ Boris schweigt.

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Kubistisches Haus in der Waldstraße Berlin-Johannisthal Detail (Foto: Reinhard Eberl-Pacan)

„Was ist da so schwer zu verstehen?“, wage ich zu fragen.

„Herr Ebert, äh Eberle …“„Eberl-Pacan“„… Ihre Kenntnisse in allen Ehren, aber warum soll ein Architekt wie Boris plötzlich keinen Brandschutz mehr können? Das ging doch die ganzen Jahre wie geschmiert. Und ich hab da keinen Pfennig zusätzlich für einen Experten ausgegeben!“

Mit ruhiger Stimme versuche ich die Geschichte von den Bauern und dem Schmied, der sich auf die Herstellung von Pflügen spezialisiert hat, zu erzählen. Boris hält dabei seinen Kopf gesenkt und schweigt.

JFK hat aber gar keine Lust und keine Geduld für Geschichten. „Sie sind doch auch Architekt, Herr Pekan …“ „Eberl-Pacan“ verbessere ich „… warum kann ich Sie dann nicht gleich mit der ganzen Planung für das Projekt beauftragen, wenn Sie auch noch soviel Ahnung vom Brandschutz haben?“

„Ich beschäftige mich 24 Stunden am Tag mit Brandschutz erwidere ich ruhig „und wenn das nicht reicht, nehme ich auch noch die Nacht dazu!

Nur so wurde ich, bin ich und bleibe ich der beste Brandschutz-Experte, den Bauherrn wie Sie und Architekten wie Boris brauchen. Wenn ich von all den anderen Dingen, wie z. B. Gestaltung, Energieeinsparung oder Koordination der Haustechnik genau so viel Ahnung haben wollte, käme ich gar nicht mehr zum Schlafen.“

„Herr Packan!“ Ich lasse ihm den Versprecher durchgehen. Pack an!‘ das klingt aus dem Mund dieses Mannes fast ein Kompliment. „was ist denn da beim Brandschutz auf der Baustelle alles schief gelaufen, was hat Ihr Freund Boris denn alles verbockt und wie stellen Sie sich Ihre Mitarbeit vor?“

Ich weiche den direkten Fragen aus und versuche zu erläutern, dass bei einer zügigen Bearbeitung und Prüfung des Brandschutzes durch uns, schlimme Mängel noch relativ einfach geheilt bzw. verhindert werden können. Ich erzähle von kleinen Kosten im Planungsprozess, die großen Kosten im Bauprozess vorbeugen, von den Vorteilen, wenn bei der Planung alle Disziplinen gleichmäßig kompetent besetzt sind, vom Dirigenten, der nicht gleichzeitig alle Instrumente spielen kann, vom Trainer, der nicht selbst auf dem Feld Fußball spielt und für Siege eine ausgewogene Mannschaft aus engagierten Einzelspielern braucht.

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Haus Diamant in Prag Architekt: Emil Králícek (1877 - 1930) , Foto: Archiv

Nichts von dem verfängt bei JFK und Boris schweigt. „Gut geplant ist halb gebaut …“ versuche ich noch zu argumentieren „… und der beste Brandschutz ist der, den man hinterher nicht sieht und der nichts kostet; außer mein Honorar natürlich!“

„Genau darum geht es!“ JFK schraubt die Kappe auf seinen Füllfederhalter und schließt die Kladde auf seinem Tisch. „Danke, das war’s, meine Herren! Frau Gaul wird Sie hinausbringen.“

Jetzt bin auch ich einigermaßen angeschlagen. Boris und ich schleichen langsam hinaus Richtung Aufzug.

Es geht abwärts auf den Boden der Tatsachen. Zum Beschluss dieser Fiasko-Besprechung reicht heute kein Bier, wir brauchen beide einen Schnaps: Törkölypálinka, gebrannter Trester aus Ungarn.

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Das Bier Pálinká (Foto: DebMedia Ungarn)
Das Prinzip Brandschutz Plus, Teil 5, "Der Bau-Löwe", eine heftige Brandschutz Diskussion in mehreren Teilen.

Fussnoten:

[1] Das Bild im Kopfstand

von BEAT WYSS 20. APRIL 2012 im Cicero

Steht ein Bild auf dem Kopf, muss es ein Baselitz sein. Oder falsch aufgehängt.

Die Kunst des Grenzgängers Georg Baselitz lockert das Korsett der Sehgewohnheiten. Seine Bilder hängen kopfüber – es sind Kippfiguren, nicht nur im optischen, sondern auch im politischen Sinn.

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[2] Doppelhäuser Nr. 25 – 40 in der Waldstraße

Die “Eigenhausgruppe Johannisthal der Gesellschaft zur Förderung von Bauproduktiv-Genossenschaften m.b.H.” baute dort die ersten kubistischen Häuser in Berlin, gebaut mit “AMBI”-Hohlblocksteinen der Firma “Arthur-Müller-Bauten- und Industriewerke”, die auf dem Flughafengelände angesiedelt war.

Es waren die ersten Anfänge industiellen Bauens. Prof. Dr. N. Soeder war der Architekt. Diese Häuser stehen unter Denkmalschutz.

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[3] Kladde Wikipedia:

Eine Kladde (seit dem 17. Jahrhundert im Niederdeutschen belegt, eigentliche Bedeutung ‚Schmutz‘, ‚Schmiererei‘) ist ein vorläufiger Entwurf, ein Konzept und davon abgeleitet, vermutlich als Kurzform von „Kladde⸗Buch“, ein Schmier-, Skizzen-, Notiz- oder vorläufiges Geschäftsbuch (Vorbuch). Hochsprachlich gleichbedeutend ist das französische Lehnwort Brouillon.

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Tagebuch": Rezepte-Kladde (Foto: Ursula Dworaczek)

Veröffentlicht am 3. Juni 2014.