Ein Holzbau für Johannes Watzlawick (Jowat)

Warum ein Holzbau für Johannes Watzlawick (Jowat)?

Wussten Sie, das Kleben die am besten rationalisierbare Verbindungstechnik und deshalb ein weltweiter Wachstumsmarkt ist? Ich wusste es auch nicht. Bis ich eines Tages im Konferenzraum der Fa. Jowat SE in Detmold (Lipperland) stand. Um mir die Zeit bis zum Beginn des Meetings zu verkürzen, spielte ich nicht Candy-Crush, sondern griff mir eine Ausgabe der Kundenzeitschrift des Unternehmens. Bereits nachdem ich ein paar Seiten aufgeschlagen und einige Teaser überflogen hatte, war ich weit weg – in der wunderbaren Welt des Klebens …

Von Breslau ins Lipperland

Diese Welt und dieser Auftraggeber haben mich fasziniert und motiviert bei meinen Brandschutz-Planungen. Im Laufe des Planungsprozesses habe ich noch viel gelernt über die Fa. Jowat SE. Etwa, dass sie 1919 von Johannes Watzlawick in Breslau (poln. Wroclaw) gegründet wurde. Dass seine Schwiegersöhne Georg Lobers und Heinrich Frank 1945 mit dem Firmenwagen ins Lipperland, dem „deutschen Möbelbecken“, flüchteten und in Detmold eine neue Leimfabrik eröffneten; um der „Leimnot“ der lippischen Möbel- und Sperrholzindustrie abzuhelfen. Dass sie dazu eine alte Produktionsstätte für Sauerkraut aufkauften und ihre ersten Leimlieferungen in Sauerkrautfässern erfolgten. Dass die Firma bald mit Produkten wie dem „Flora Sommerstrumpf“ (eine Tinktur als optischen Ersatz für Damenstrümpfe) oder dem „Jowat Kapselfix“ (Versiegelung von Weinflaschen) Erfolge feierten; dass … [1]

Der 112 cm hohe Firstträger im Werkstätten- und Foyerbereich ruht auf zweigeschossho ­ hen BS-Holz-Stützen bzw. auf der Brandwand. An ihn schließe n beidseitig die Pultdach-Binder an. (Foto: ZÜBLIN T imber)
Einblick in eines der Labore (Foto: ZÜBLIN T imber)

Ein Holzbau für Johannes Watzlawick (Jowat) – Holz und Leim wie Pech und Schwefel

Aber hier geht es ja um Holzbau und Brandschutz. Holz und Leim, dass passt so gut wie Pech und Schwefel. Darum sollte das „Haus der Technik“ in der Ernst-Hilker-Str. in Detmold ein Holzbau werden. Der Entwurf des IfuH – Institut für urbanen Holzbau mit roedig . schop architekten, CKRS Architekten, Philipp Koch Architekten bot von Anfang an ein besonderes „Schmankerl“: Das Gebäude wird umspannt von einem Vorhang aus Holzstaketen. Wie „Klebstofffäden“ verbinden sie das auskragende Dach mit dem Sockel. Dahinter ermöglicht eine Holz-Pfosten-Riegel-Fassade Einblicke in die „Welt des Klebens“: ein buntes Programm aus Forschung, Entwicklung und Verarbeitung von Klebstoffen, aus Büros und Ausstellungsräumen, Werkstätten und Innovationslaboren, Schulungs- und Versammlungsräumen, einer Besuchergalerie und schließlich einem Bistro für Erfrischungen. Dieses umfangreiche Nutzungsprogramm, das zum einen Teil gestapelte, eingeschossige Räume, zum anderen Teil doppelgeschossige Hallen erforderte, organisierten die Planer unter einem einzigen mächtigen, von Leimholzbindern getragenen Dach.

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Der Firstträger im Werkstätten- und Foyerbereich ruht auf zweigeschossigen BS-Holz-Stützen (Foto: ZÜBLIN T imber)

Nachwachsende Rohstoffe, leicht rückbaubare Bauteile, ein nachhaltiges Energiekonzept mit autarker Energieversorgung minimieren nicht nur den ökologischen „Fußabdruck“, sie sprechen für den Holzbau und sind für Leute, die mit Holz bauen, selbstverständlich. Auch mit Holz sind -ebenso wie mit Stahl oder Stahlbeton – hochflexible Grundrissgestaltungen möglich, durch weitgespannte Konstruktionen aus Brettschichtholzstützen und -trägern, Sparren und Holzverbunddecken.

Freunde fürs Leben: Brandschutz und Nachhaltigkeit

Die Spannweiten, die es für die solche Fertigungs- oder Industriehallen zu überwinden gilt, sind also mit den Mitteln des zeitgenössischen Holz- und Holzhybridbaus bestens zu schaffen. Bei richtiger Planung und früher Beteiligung von Brandschutzexperten sind „niedrige“ Industriebauten auch in Sachen Brandschutz, der etwa mehrgeschossige Häuser in Holzbauweise zu einer kniffligen Planungsangelegenheit werden lässt, i.d.R. unproblematisch. Verwunderlich ist daher, dass Holz in den Industriegebieten rund um unsere Städte derart selten als Baumaterial vorkommt.

Wie so oft schieben zähe Verwaltungsvorgänge und baurechtliche Hindernisse dem Holzbau bei Gebäuden für Industrie und Gewerbe einen Riegel vor. Es ist an der Zeit, auch über die baurechtlich zulässigen Baustoffe für Industriebauten nachzudenken.

Die Mindestanforderungen an den Brandschutz von Gebäuden, die der Produktion oder Lagerung von Produkten oder Gütern dienen, werden in der Muster-Industriebaurichtlinie (MIndBauRL)[2] geregelt. In dieser Richtlinie gibt es deutliches Übergewicht an Vorschriften, die z.B. ökologisch sinnvolle, weil nachwachsende, aber brennbare Baustoffe von der Verwendung in größeren Industriebauten ausschließen. Angesichts der Bedeutung dieses Bausektors muss die Verwendung nachwachsender Baustoffe künftig auch in dieser Richtlinie eine wichtige Rolle spielen. Zeitgemäße Regelungen, die den Gewerbe- und Industriebau betreffen, dürfen nicht in die Kompetenzen der Landesbauordnungen (LBO) eingreifen und z.B. vorschreiben, dass feuerbeständige Bauteile nur aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen dürfen.

Zumindest bei eingeschossigen Industriebauten räumt die aktuelle MIndBauRL – noch nicht in allen Ländern eingeführt – der Holzbauweise für tragende und aussteifende Bauteile einen breiteren Raum ein. Dieser Schritt war möglich aufgrund eines „Untersuchungsberichts zu Hallen in Holzbauweise nach MIndBauRL“, die zeigte, dass bereits bei einer „kalten“ (ohne Brandbeanspruchung = „F0“) Bemessung einer Tragkonstruktion aus Holz grundsätzlich von einer brandschutztechnisch robusten Konstruktion auszugehen ist. Die geringe Abbrandgeschwindigkeit des Holzes ergibt eine im Vergleich zu Stahlbauteilen langsamere Schwächung der Tragfähigkeit durch eine Erwärmung im Brandfall.

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Die eindrucksvolle Holztreppe im Empfangsbereich leitet Besucher auf eine umlaufende Galerie (Foto: ZÜBLIN Timber/ Stefan Müller)

Innovatives Brandschutzkonzept für gesunde Arbeitsplätze

Wir haben in unserer Brandschutzplanung bereits 2015 die Chance genutzt, Bauteile für Industrie- und Gewerbebauten mit innovativen Brandschutzkonzepten aus ökologisch verträglichen aber brennbaren Baustoffen wie Holz herzustellen. Schadstofffreies Bauen und ein gesundes Arbeitsumfeld, gebaut mit einem geringstmöglichen Einsatz grauer Energie, das war damals und ist auch heute noch der Industrie- und Gewerbebau der Zukunft. Schließlich sind Brandschutz und Nachhaltigkeit gleich wichtige Freund fürs (Über)Leben.

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Detail der Pfosten-Riegel-Konstruktion im Bauzustand (Foto: ZÜBLIN Timber)

Bautafel

Der Bauherr beauftragte Züblin Timber, die Holzbautochter der Baufirma Züblin, als Generalunternehmer mit dem Bau des Hauses. Der Generalunternehmer wiederum beauftragte IfuH Architekten mit Roedig Schop Architekten und CKRS Architekten aus Berlin mit der Entwurfs- und Ausführungsplanung, B. Walter Ingenieurgesellschaft, Aachen mit Tragwerksplanung und Bauphysik, Planungsbüro Heinz Kluge, Ettlingen (HLS) und Schlindwein Planungsbüro für Elektrotechnik, Bruchsal mit der Haustechnikplanung.

Für den Brandschutz zeichnen „brandschutzplus“ Eberl-Pacan Architekten + Ingenieure Brandschutz, Berlin, verantwortlich.


Fußnoten

[1] Mehr zur Geschichte der Fa. Jowat SE erfahren Sie unter https://www.jowat100.com/

[2] Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Muster-Industriebau-Richtlinie – MIndBauRL) Stand Mai 2019