Neujahr 2021

Als ich ein kleiner Junge war, unternahmen meine Eltern mit mir – zu einem Anlass, der längst in Vergessenheit geraten ist – eine Wallfahrt nach Altötting. Dort laden im Umgang der Gnadenkapelle eine Vielzahl von Votivtafeln zum Bestaunen ein. Traditionell werden dabei Holzkreuze um die Kapelle getragen. So packte auch ich Knirps gleich ein mittelgroßes Holzkreuz auf meine Schulter, in der Absicht, es um die Kapelle zu schleppen. Doch schon nach ein paar Schritten war mir klar, dass ich meine Kräfte überschätzt hatte und ich das Kreuz niemals würde um die gesamte Kapelle tragen können.

So trat ich den Rückzug an und hielt nach dem nächstkleineren Kreuz Ausschau. Auch mit diesem kam ich nicht weit und nach ein paar Versuchen war ich schließlich beim kleinsten Kreuz angekommen. Das konnte ich einigermaßen unbeschadet um die Kapelle herum schultern. Beim ersten Versuch war ich gescheitert, doch am Ende habe ich doch mein Ziel erreicht und meinen Ehrgeiz meinen Möglichkeiten angepasst. Das war mir damals nicht klar und ich empfand es eher als Niederlage.

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Altötting Kapelle Kreuzträger (Foto: R. Kirchner)
Gnadenbild,_Gnadenkapelle_Altötting
Gnadenbild, Gnadenkapelle Altötting (Foto: Siddhartha Finner)

Ist das Jahr 2020 auch eine Niederlage? Es lässt uns zumindest ratlos und hilflos zurück. Ratlos, weil wir einmal mehr erleben müssen, dass Institutionen und Einrichtungen, auf die wir eigentlich vertrauen möchten, im Ringen gegen einen Virus, mehr als tausendmal kleiner als ein Stecknadelkopf, kläglich versagen. National verhindert eine „Wilde 16“ (Bundesländer) nachhaltig und erfolgreich koordinierte und nachvollziehbare Regelungen, international sorgt eine zerrüttete und zerstrittene Weltgemeinschaft voller Scheinriesen – tatsächliche und möchte-gern Despoten von tatsächlichen oder möchte-gern Supermächten – für Todesraten, die jeden Terrorismus weit in den Schatten stellen. Hilflos, weil wir vor der Kombination aus Gefahr und mangelnder Lösungskompetenz hergetrieben werden und keinen Silberstreif am Horizont sehen – es sei denn, die versprochenen Impfungen. Wer der modernen Medizin nicht vertraut, dem bleibt nur wallfahren und beten.

Gleichzeitig sehen wir uns Herausforderungen gegenüber, bei denen uns weder Impfungen noch Wallfahrten helfen werden. Eine der größten ist sicher der rasante Klimawandel. 2020 war mit 10,4 °C das Jahr mit der zweithöchsten Durchschnittstemperatur in Deutschland seit 1881. Davor liegt 2018 und dahinter folgen mit wenig Abstand 2014 und 2019. Elf der 13 wärmsten Jahren in Deutschland lagen in den vergangenen 20 Jahren. Weltweit befindet sich unten den Top-10 der wärmsten Jahre nur eins aus den Jahren vor der letzten Jahrhundertwende.

Prokrastination und Aufschieberitis

Deutliche Zeichen, dass es höchste Zeit ist, gegenzusteuern. Das betrifft auch das Baurecht und die die Baubranche. Vorrangig gilt es, die benötigte Primärenergie für die Herstellung nicht erneuerbarer oder nicht recycelbarer Baustoffe (graue Energie) massiv herunterzufahren, damit der CO2-Ausstoß und die Produktion von Sondermüll beim Bauen reduziert werden kann. Was wäre dafür besser geeignet als der Baustoff Holz. Doch in Sachen „Holzbau und Brandschutz“ gab es in den letzten beiden Jahren neben Fortschritten auch Rückschläge (wir berichten darüber unter dem Stichwort „Scheideweg Bauordnung“). Neben vollmundigen Erklärungen von Politikern jeder Couleur macht sich in Ämtern und Verwaltungen Lethargie breit. Statt zu tun, was getan werden müsste, sucht man sein Heil in Prokrastination und Aufschieberitis. Wichtige Ideen zu Novellierungen von Muster- und Landesbauordnungen werden auf Verwaltungsebene – allen voran vom „Deutschen Institut für Bautechnik“ (DIBt) – abgewürgt und ausgeschlossen.

Angesichts der Größe der Herausforderung mag der oder die eine oder andere versucht sein – so wie ich einst als kleiner Junge – ein viel zu großes „Kreuz“ anzupacken und daran zu scheitern. Vertrauen wir auf die Stärke der Bewegung. Wenn viele das „Kreuz“ anpacken, das ihren Möglichkeiten entspricht und das sie erfolgreich schultern können, werden wir 2021 doch wieder ein gutes Stück beim Klimaschutz und der Nachhaltigkeit von Bauprodukten weiterkommen.

In diesem Sinne wünschen wir allen ein gesundes, glückliches und erfolgreiches Neues Jahr 2021.

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Neujahrsgruß 2021 (Grafik Eberl-Pacan Gesellschaft von Architekten mbH)

Veröffentlicht am 6. Januar 2021.